Auf den ersten Seiten wähnt man sich im falschen Buch. Laut Titel würde einen "Der Familienurlaub" erwarten, und damit eine "Spaßgarantie im Hosentaschen-Format", wie es der Klappentext verheißt. Und auch der Vorwortschreiber lässt einen ein derartiges Amüsement erwarten, schließlich gilt der Hackl Schorsch seit jeher als Gaudibursch und es muss schon was Lustiges dran sein, wenn der dreimalige Rennrodel-Olympiasieger dem Bahnsprecher seiner Heimbahn am Königsee mit wohlmeinenden Worten ins literarische Leben verhilft und beim Lesen dessen ersten Buches "richtig viel Spaß und Freude" wünscht. Doch dann nimmt auf der ersten Seite so etwas wie Erotik-Belletristik ohne jegliches Vorspiel ziemlich viel Leidenschaft auf: "Da lagen sie, sahen trotz der wilden Turnübungen der Nacht aus wie junge Göttinnen."
Und schon wird rasant das Kennenlern- und Liebesspiel eines älteren Mannes mit zwei Animateurinnen in einem Fünf-Sterne-Hotel auf Kreta beschrieben: "Was folgte, waren die hemmungslosesten Stunden meines Lebens." Routiniert im Stil scheint sich also ein Lesespaß zu entwickeln, der seine Triebkraft aus klischeehaften Vorstellungen eines enthemmten Urlaubssujets sowie junger williger Frauen und einem geldpotenten Mann als Protagonisten speist und im fantasievollen Wortfluss den Blutdruck bis zum "kopulierenden Fleischbündel" treibt.
Aber das amouröse Abenteuer endet so abrupt, wie es begonnen hat. Bereits auf Seite 17 erfolgt die Desillusionierung. Der Autor wendet sich direkt an den Leser: "Sie glauben doch nicht im Ernst, dass jemals ein Mann in einem Familienurlaub mit zwei Animateurinnen in die Kiste gestiegen ist." Ertappt. Nein, um Gottes Willen, tut man als Leser natürlich nicht. Und folgt brav dem Bekenntnis, dass alles geflunkert, gelogen und erfunden sei. Real ist also demnach das nun, was der Olchinger Sportkommentator und Moderator Gerhard "Willi" Willmann in seinem schriftstellerischen Erstlingswerk auf den restlichen Seiten über Erlebnisse in einem Familienhotel niedergeschrieben hat, nämlich "die Wahrheit, die reine Wahrheit, und die ist nicht immer schön".
Und das macht der durchaus geplagte Autor von Anfang an anschaulich deutlich - mit zuweilen wunderbaren Sprachbildern, etwa das vom "Familienhashtag". Wenn man zu viert ist, sieht der so aus: "Zwei Kinder liegen quer über zwei Erwachsene." Für den Vater hat das zur Folge: "Die drei schlafen. Ich bin wach." Und so beginnt der Urlaub vom ersten Aufwachen an anstrengend zu werden, was Willmann mit sehr viel Beobachtungsgabe und Humor zu erzählen weiß und dabei die Klaviatur der Ironie geradezu spielerisch bedient. Sie kann fein sein, wenn es um die altbekannten Unterschiede zwischen Mann und Frau geht und der aufgebrachte Hotelangestellte mit einem Wortschwall penetriert, "den ich quantitativ nur meiner Gattin zugetraut hätte". Sie kann zur Satire werden, wenn das All-Inclusive-Paket im Hotel die Verpflichtung auferlegt, "alle zehn Stunden das Essensangebot wahrzunehmen". Und sie kann sich auch in Sarkasmus steigern und bitterböse werden, wenn Griechenland beim Toilettenpapier offenbar die Genfer Konvention ignoriert: Drei Lagen, alles darunter sei unmenschlich, mokiert sich der Familienvater. Aber in diesem Hotel sieht die Wahrheit eben unschön aus: "Das Papier für die besonderen Momente hat nur eine Lage."
Dieser leichte, humorige Schreibstil nimmt den Leser mit durch die Episödchen eines launigen Urlaubstages des "fast 50-jährigen Hörfunkredakteurs", seiner Frau, einer "Rakete", sowie eben Sohn und Tochter, beide natürlich in ihrem Alter von sieben und zehn Jahren von äußerst lebendiger Art. Sechs Kapitel schildern "Wahrheiten" vom Morgen bis in die Nacht hinein, in einer unterhaltsamen Alltagsprosa, viele, viele kleine Begebenheiten und Beobachtungen, einfallsreich strukturiert in Uhrzeiten: 8.01: Wir haben uns für das Meer entschieden; 10.58: Sport ist genau mein Ding; 12.57: Alle wieder am Tisch; 16.04: Duhuuuuuuuu, Papaaa; 22.32 Uhr: Der Schlaf ist stärker als ich.
Wer hier angekommen ist, der mag sich selbst ein wenig wie im Urlaub gefühlt haben, so erholsam war dieser Leseausflug. Um dieses Erlebnis nicht zu schmälern, sei hier auch nicht gänzlich verraten, was einer vierköpfigen Familie so alles widerfahren kann an so einem vollgepackten Urlaubstag am Meer. Es sei aber so viel eingeräumt, dass es beim Lesen unwillkürlich wahr wird, was eine begeisterte "Kundenrezension" im Beipackzettel des Buches ausdrückt: "Jeder, der schon einmal mit der Familie im All-Inclusive-Urlaub war, wird sich hier wiederfinden. Ich habe sehr gelacht." Der Autor indes kommt am Ende seines Reiseberichts in seiner "Danksagung" nicht unerwartet zu einem anderen Schluss: "Ein Familienurlaub ist ein Familienurlaub und wer sich erholen will, der bleibt am besten in der Arbeit." Seinen eigenen Rat hat Willmann aber bereits in diesen Sommerferien nicht befolgt. Und so kann man sogar auf eine literarische Fortsetzung und eine weitere heitere Urlaubslektüre aus seiner realsatirischen Feder hoffen.[
Der Familienurlaub, Gerhard "Willi" Willmann, Smart & Nett Verlag, ISBN: 978-3-946406-34-1.
August 22, 2020 at 03:15AM
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Vergnüglicher Leseausflug ans Meer - Süddeutsche Zeitung
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das Meer
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